Die
Frage
Die
Frage, ob es überhaupt eine Internetsucht geben kann, ist eine
akademisch-wissenschaftliche Frage der Etikettierung einer Verhaltensauffälligkeit
(=Abweichung von der Norm). Unbestritten gibt es eine Fülle
von dokumentierten Einzelfällen, in denen Betroffene nicht nur
über extensive Internetnutzung berichten, sondern auch über
dramatische Konsequenzen ihres Verhaltens Auskunft geben. Die
Berichte erinnern in der Tat an Menschen, die von einer Substanz
wie Alkohol oder Heroin abhängig sind. Die Verhaltensauffälligkeit
als solche kann also schwerlich bestritten werden. Aber das
Internet ist keine Droge, die komplexe körperliche Prozesse
verursacht, die fast unweigerlich zu einer Abhängigkeit führen.
Wenn das Internet die Eigenschaften einer Droge hätte, dann
würden wir erwarten, dass nahezu jeder der damit in Berührung
kommt über kurz oder lang davon nicht mehr los kommt und zwar
auch dann nicht, wenn sich katastrophale Nebenwirkungen einstellen.
Dem Internet fehlt also von sich aus die direkte Möglichkeit,
einen Menschen süchtig zu machen. Ähnliches gilt natürlich auch
für das Fernsehen, für Bücher oder unseren Toaster. Auch wenn
wir nicht gern auf den Toaster oder das Internet verzichten
würden, also in diesem Sinne "abhängig" sind, sind wir trotzdem
nicht süchtig, weil das Verhalten nicht körperlich erzwungen
wird, also keine Verhaltensnotwendigkeit zur Erhaltung der Grundbefindlichkeit
besteht. In diesem Sinne ist die Etikettierung einer Verhaltensauffälligkeit
als "Internetsucht" unglücklich, weil der Begriff nahelegt,
dass das Internet die Ursache für die Sucht ist. Dies ist aber
in dieser einfachen Form einer direkten Wirkung des Internets
auf den Menschen nicht der Fall. Ist es deshalb falsch, von
Internetsucht zu sprechen? Wir meinen: Nein, solange klar ist,
dass mit dem Begriff lediglich ein Verhaltenssyndrom (Syndrom
= gleichzeitige Anwesenheit von mehreren Symptomen) beschrieben
wird.